Sonntag, 19. August 2012

Langes Vorladen mit Matthias Merz

Matthias Merz Beschreibung seines WM Laufes über die Langdistanz 2012 ist aus der Perspektive von Timing und Flow des Kartelesens interessant.

Schlüsselszenen

Merz beschreibt in erster Linie die Entstehung seiner Fehler und Zeitverluste und alle hängen gewisserweise mit dem prospektiven Lesen zusammen.

In der Anfangsphase verliert er einmal ganz (Posten 1) und einmal fast den Bodenkontakt (Posten 6), weil er vorlädt (Overreading; s.a. hier und hier). Der Zeitverlust beim ersten Fehler beträgt insgesamt wohl 55 sekunden, nimmt man die Unsicherheit zum 2 Posten als Folgefehler (gestörte Vorbereitung) dazu. Der zweite Fehler ist dagegen mit 13 Sekunden relativ klein.

Dann im Mittelteil folgt eine kleine Fehlerkaskade:
Beim kurzen Verschieber zu Posten 11 kam ich etwas weit rechts, sah dann aber die Kamera. Dort entschied ich mich kurzerhand, die vorbereitete Route links über den Weg nicht zu laufen und stattdessen alles quer zu gehen. Ein schlechter Entscheid. Ich setzte die Route nicht optimal um und verlor wertvolle Sekunden. Dazu kam, dass ich die Teilstrecke zu 14 nicht vorbereiten konnte und deshalb zu 13 schon Zeit investieren musste. Auch zu 14 änderte ich meine Meinung. Schon viel früher im Wettkampf hatte ich diese Teilstrecke kurz angeschaut und mich für den Weg östlich des Striches entschieden. Beim Posten hatte ich dann aber nicht den Mut dazu und wollte näher an der direkten Linie bleiben. Schlecht umgesetzt wurde der Weg dann doch etwas länger.
Hier sammeln sich die Zeitverluste. Posten 11: 8s, 12: 20s, 13: 20s, 14: 53s. (Gemäss Analyse der GPS Daten durch Jan Kocbach aka worldofo.com). Schön zu sehen, wie Merz nach einem an sich unnötigen Abreisser bei Posten 11 in einen Rückstand gerät, der sich bis zum 14 Posten negativ auswirkt.

Ebenfalls wird schön lesbar, dass Merz sehr weit vorausliest, Routen erwägt und wiedererwägt und dass er auch seine Meinung ändert.

Kleiner Exkurs

In einer Untersuchung mit AMRD, die ich letztes Jahr mit dem Schweizer Nationalkader gemacht habe, hat sich  das aus Merz Lesestil resultierende Kartenlese-Muster aufgezeichnet. Es ist geprägt, durch die langen Kartenkontakte des Vorladens (hier rot).

Abb.1. Ausschnitt Testlauf Lang WOC 11, Kartenkontakte Matthias Merz (grün=kurz, rot=10 S und länger). Es ist schön zu sehen, wie Matthias, sobald er den Weg am unteren Kartenrand erreicht hat, intensiv vorlädt.

Vergleicht man ihn mit z.B. 'Sprinter' Daniel Hubmann (Abb.2.), der dagegen ausgesprochen wenig/kurz liesst, so kommen grosse Unterschiede zutage. Anlässlich des  erwähnten WOC11-Testlaufs oberhalb Annecy kommen so auf eine Laufzeit von etwas über 95 Minuten 59 Minuten Karte lesen für Merz und nur 27 für Hubmann zusammen. Dabei machen allein die unterschiedlichen Anteile der Kartenkontakte über zehn Sekunden Dauer den Unterschied (Hubmann total 5.5 Minuten, Merz total 39 Minuten). Die Charakteristik bezüglich den kurzen Kontakten ist für beide Athleten sehr ähnlich.


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Abb.2. Ausschnitt Testlauf Lang WOC 11, Kartenkontakte Daniel Hubmann (grün=kurz, rot=10 S und länger)

Man sieht, dass Merz praktisch jede Gelegenheit zum ungestörten Kartenkontakt wahrnimmt, während Hubmanns Lesestil geradezu minimalistisch erscheint. Matthias ist dabei bekanntlich nicht langsamer.

Vorladen als Fehlerquelle

Aus den Situationen, die Matthias beschreibt, können wir ein paar Weisheiten ziehen:
  • Ein Vorladen 'soweit wie möglich' birgt die Gefahr des overreading. Lösungsansätze sind:
    • Eine klare Ausstiegsbedingung zu Beginn des Vorladens (z.B. bis kurz vor der Kreuzung)
    • Stückweises Vorrauslesen das immer wieder durch einen 'Bodenkontakt' unterbrochen wird
    • Eine Begrenzung des Vorladeraums (z.B. auf drei Posten).
  • Besonders das allzuweite vorladen in der frühen Rennphase ist kritisch zu sehen. Läuft man doch dabei Gefahr Routenwahlen zu fällen, welche der späteren Situation (z.B. nach einer Adaptation an Karte und Gelände) nicht entsprechen.
  • Dagegen sollen Routenwahlentscheide zeitnah zur Umsetzung gefällt und i.R. nicht mehr umgelegt werden.
oder um es mit Marc Lauenstein zu sagen:
Je weniger ich vorrauslese, desto weniger Fehler mache ich.
Marc Lauenstein (mündl.)

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