Samstag, 15. August 2009

Bernard Lagat zum Thema Doping

14.08.2009 05:00 Uhr
"Ein Betrüger hat mich bestohlen"

Doppelweltmeister Bernard Lagat über Olympia- Niederlagen, Doping und Vertrauen unter Läufern

SZ: Herr Lagat, ist es hilfreich, als Doppelweltmeister zur WM zu kommen?

Lagat: Ich bin nicht sicher. Es ist einerseits gut, weil ich weiß, was mich bei zwei Starts erwartet vom Zeit- und Energie-Management her. Aber es schauen mehr Leute auf mich, und alles andere als ein weiteres Double könnten sie als Versagen sehen.

SZ: Sie haben alles geplant wie 2007?

Lagat: Ich ändere nicht wirklich viel. Ich trainiere hart in April und Mai. Ende Mai, Anfang Juni beginnen die Wettkämpfe, die auch dazu da sind, um die Form aufzubauen für den August. Mein Trainer und ich planen immer so, dass ich meine beste Form bei der WM habe.

SZ: Keine Veränderungen nach Ihrem Misserfolg von Olympia?

Lagat: Nein. Bei den US-Trials, bei denen ich mich für Peking qualifizieren musste, habe ich mich noch gefühlt wie eine Million Dollar. Ich bin geflogen über 1500 Meter, über 5000. Aber als ich nach Tübingen zum Trainieren kam, bekam ich Probleme mit der Achillessehne. Drei Wochen vor den Spielen. Ich konnte nicht richtig trainieren. Ich war in Peking deshalb nicht perfekt vorbereitet.

SZ: Und so wurde das Doppelgold von Osaka zum Fluch.

Lagat: Ich sehe die Siege von Osaka nicht als einen Fluch. Die Leute könnten das denken, aber ich weiß, dass ich außerordentlich hart trainiert habe vergangenes Jahr. Ich habe nicht mit der Haltung trainiert, dass ich der Weltmeister bin oder irgendwie besser als andere Läufer. Ich habe wie ein Athlet trainiert, der Gold gewinnen will, nichts weniger. Ich habe in Peking das 1500-Meter-Finale nicht geschafft und war Neunter über 5000 Meter - das mag so aussehen, als hätte ich ein schreckliches Jahr gehabt. Aber wenn die Leute die Fakten kennen, werden sie meine Ergebnisse verstehen. Dieses Jahr konnte ich sehr gut trainieren. Jetzt will ich etwas zurückbekommen. Ich bin bereit für Berlin. Ich habe etwas zu beweisen. Dass ich 2008 nur schlecht war wegen der Verletzung.

SZ: In Peking fehlte Ihnen nur ein Platz zum 1500-Meter-Finale.

Lagat: Es war sehr, sehr, sehr knapp.

SZ: Hat Sie das nicht umso mehr geärgert, als Sie später erfuhren, dass Olympiasieger Rashid Ramzi positiv auf das Blutdoping-Mittel Cera getestet wurde?

Lagat: Ich wusste, dass ich nicht in Bestform war wegen der Achillessehne. Bei Olympia bin ich auf der Basis meiner Erfahrung gelaufen, meines Grundlagentrainings, und vor allem mit meinem Herzen. Ich habe gekämpft wie ein Löwe und ich bin um zwölf Hundertstel am Finale vorbeigeschrammt. Ich habe alle Schuld auf meine Achillessehne geschoben. Aber jetzt, mit den Nachrichten von Ramzi, ärgert mich das. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, er war nicht verdächtig. Er war sehr verdächtig. Ich habe meinen Platz im Finale verpasst, weil ein Betrüger ihn mir gestohlen hat. Aber was kann ich tun? Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen. Ich kann nur sagen: Das Leben geht weiter und ich freue mich auf die nächsten Wettkämpfe.

SZ: Rashid Ramzi aus Bahrain war vielen verdächtig, weil er so selten auftauchte und er dann in Peking dominierte.

Lagat: Viele Leute haben an Ramzi gezweifelt. Als er die 800 und 1500 Meter bei der WM in Helsinki gewann, aus dem Nichts, haben viele Leute seine Siege infrage gestellt. Leider kommt das vor wegen Betrügern wie ihm. Die Leute müssen glauben, dass nicht jeder Gewinner Drogen nimmt. Dass es möglich ist, ein sauberer Athlet zu sein und Doppel-Weltmeister. Schauen Sie mich an!

SZ: Aber Ihren Doppelsieg fand mancher bestimmt auch verdächtig.

Lagat: Ich bin meine Zeiten nicht aus dem Nichts gelaufen. 1998 bin ich schon 3:34 Minuten auf 1500 Meter gelaufen, im Jahr darauf zwei Mal 3:30, ein Mal 3:28 und seither beständig 3:30 oder drunter. Das ist das Ergebnis von harter Arbeit, von reinem Schweiß und Mut. Und von dem Essen, das alle essen.

SZ: Sie vertreten die klassische Sportlobby-Denke: Doping als Einzelphänomen. Müssen Sie als Athlet so denken?

Lagat: Oh ja.

SZ: Oder glauben Sie wirklich daran?

Lagat: Ich glaube wirklich daran, dass es nur eine Handvoll Betrüger in der Leichtathletik gibt. Jawohl, das ist eine Handvoll zu viel, aber wir arbeiten in unserem Sport daran, sie loszuwerden. Die Öffentlichkeit glaubt, dass die Leichtathletik voll ist von Dopern, und ich glaube, das kommt daher, dass die Medien nur Geschichten über Doper machen. Man hört selten von ehrlichen Athleten. Wenn die Leichtathletik in die Hauptnachrichten kommt, geht es fast immer um Drogen. Das ist ein Problem. Als Athlet will ich am Start stehen und glauben, dass die Person links neben mir, die ganz links, die rechts, die ganz rechts, und alle anderen auch, sauber sind, so dass wir alle auf einer Ebene um die Wette laufen. Wenn ich die immer daran denken würde, dass er schmutzig läuft, würde mich das sehr stören während des Rennens.

SZ: Interessanterweise hat Ihr Dopingfall von 2003 Ihre Glaubwürdigkeit gestärkt. Ihre A-Probe soll damals positiv auf Epo gewesen sein, renommierte Wissenschaftler stellten sich auf Ihre Seite wegen einer Fehlinterpretation.

Lagat: Lassen Sie mich bitte klarstellen: Es war ein falscher Test. Ich bin nie positiv getestet worden. Als der Test nachuntersucht wurde, stellten die Wissenschaftler infrage, wie mein Test überhaupt für positiv erklärt werden konnte. 2003 waren meine Eltern mit mir bei der WM in Paris. Und als ich ihnen erklären musste, dass ich nicht starten darf, sagten sie: Du bist sauber. Wir kennen dich. Du nimmst ja nicht mal einen Hustensaft. Es war lustig, weil ein paar Wochen zuvor in Kenia hatte ich tatsächlich die schlimmste Erkältung meines Lebens. Und meine Mutter sagte: Warum kaufen wir nicht einfach ein Erkältungsmittel? Ich sagte zu ihr: Geht nicht, weil ich nie weiß, was in dem Mittel drin ist. Für dich ist es okay, aber wenn du regelmäßige Dopingtests machen müsstest, könnte das böse enden. Ich habe dann eine starke heiße Zitrone getrunken. Und als man mir sagte, mein Test sei positiv, sagte ich: Das kann nicht sein, Sie haben mich mit jemandem verwechselt. Sie sagten, ich sei es, und ich dachte: Warum ich? Ich war so wütend und bestürzt. Was ist der erste Satz von überführten Dopern in ihren Pressekonferenzen? Ich bin unschuldig. Und jetzt verteidigte ich, Lagat, mich, der ich nie irgendetwas genommen hatte, wie ein Doper.

SZ: Wie denken Sie jetzt darüber?

Lagat: 2003 hat viel Gutes gebracht. Der Epo-Test hat sich verbessert. Die Athleten-Rechte müssen gewahrt bleiben. Sie müssen wie Menschen behandelt werden. Unsere Karrieren können nicht in den Händen von schlampiger Laborarbeit liegen, ungenauen Methoden und falschen Interpretationen. Ich will dazu beitragen, dass sich saubere, ehrliche Athleten ihrer Rechte sicher sein können.

SZ: In den USA gab es den Balco-Skandal, der zeigte, dass in Teilen der kommerziellen Leichtathletik flächendeckend und nach ausgeklügelten Medikationsplänen gedopt wird. Tenor der Doper: Alle tun es, also tu ich das auch.

Lagat: Ich habe den Balco-Fall nicht intensiv verfolgt. Die ganze Geschichte ekelt mich an. Wenn diese Athleten so denken, haben sie eine schmutzige Phantasie. Diese Leute wollen doch nur ihre armseligen Entscheidungen rechtfertigen und ihre Gier. Sie haben im Sport nichts zu suchen. Ich glaube fest daran, dass es möglich ist, ohne Drogen gute Zeiten zu laufen. Hicham El Guerrouj (Olympiasieger aus Marokko, d. Red.) war der beste 1500-Meter-Läufer der Geschichte - und er lief sauber.

SZ: Können Sie sich da sicher sein?

Lagat: Ja. Ja. Ja. Ja, ganz sicher. Da ist etwas in seinen Augen. Ich konnte diesen Schmerz vom harten Training bei ihm sehen, die Traurigkeit, wenn er verlor, diese reine unschuldige Freude, wenn er gewann. Wenn sie dir in die Augen schauen können und du kannst darin die ehrliche Sehnsucht nach dem Sieg erkennen, weißt du, dass sie sauber sind.

SZ: Tatsächlich? Viele Dopingmittel und -methoden sind nicht nachweisbar. Und es hat erwiesenermaßen viele Doping-Weltrekorde gegeben.

Lagat: Über nicht nachweisbare Dopingmittel weiß ich nichts. Ich vergeude meine Zeit nicht mit Gedanken an so etwas. Natürlich kommt Doping vor. Die Fans vertrauen uns zu hundert Prozent, und dann stellen sie fest, Athleten nehmen Dopingmittel, und sie verlieren den Glauben in jeden Weltrekord. Ja, es gab Leute in der Vergangenheit, die gedopt haben. Und es gibt sie in der Gegenwart. Es hat genügend Athleten gegeben, die positiv getestet wurden, nachdem sie unglaubliche Zeiten gelaufen waren. Wem dürfen die Fans glauben? Die Fans denken: Leichtathletik ist ein schmutziger Sport, und das tut mir weh. Nicht alle in der Leichtathletik sind schmutzig.

SZ: Aber vielleicht mehr als die wenigen Positivfälle vermuten lassen.

Lagat: Naja, vielleicht . . . aber wie ich schon sagte, ich befasse mich nicht mit solchen Gedanken. Ich glaube nicht, dass es systematisches Doping gibt oder dass es so verbreitet ist, wie manche glauben.

SZ: Es gab das Dopingsystem der DDR, es gab das Dopingsystem Balco, 2008 flogen in Russland mehrere Nationalathleten auf. Und die Ansprüche an die Athleten sind hoch geblieben. Die Sportgesellschaft ist ganz wild auf Weltrekorde. Muss das sein?

Lagat: Wenn du als Athlet Leistung bringst und gewinnst, gewinnst, gewinnst, dann ist da noch etwas, das du erforschen möchtest. Zum Beispiel, ob du den Weltrekord brechen kannst. Das ist eine Sehnsucht. Das kommt mit der Arbeit. Ich selbst habe mir immer vernünftige Ziele gesetzt. Ich habe mir nie vorgenommen, den 1500-Meter-Weltrekord zu brechen. Weil ich wusste, das versuche ich vielleicht meine ganze Karriere und schaffe es nie so ganz. Ich glaube, dieser Weltrekord, die 3:26,00 von Hicham El Guerrouj (aufgestellt in Rom 1998, d. Red.) ist wirklich hart. Wenn ich ihn jagen würde, würde ich mich nur der Gefahr des Scheiterns aussetzen und am Ende eine glückliche Karriere verlieren.

SZ: Sie sind 3:26,34 gelaufen, in Brüssel 2001, als Zweiter hinter Hicham El Guerrouj, der damals 3:26,12 lief.

Lagat: Das war eine Überraschung, das ist einfach passiert. Neulich erst habe ich mich wieder an das Rennen erinnert. Ich wusste vor dem Rennen, dass ich in großartiger Form war und dass Hicham wirklich schnell laufen würde. Ich weiß noch, wie ich den anderen Kenianern beim Mittagessen sagte: Ich werde wie Kleister an Hichams Fersen kleben. Sobald er seine Füße hebt, werde ich da sein. So habe ich es gemacht, und dann hätte ich fast den Weltrekord gebrochen. Ich setze mich nicht unter Druck, den Weltrekord zu brechen. Wenn es passiert, passiert es. Wenn du hart trainierst und du eine realistische Chance hast, tu es. Aber arbeite dich nicht auf dafür. Dein Körper hat eine Grenze.

SZ: Überführte Doper wie der frühere 100-Meter-Weltrekordler Tim Montgomery haben diese Grenze künstlich verschoben. Sie werden nie wissen, was wirklich ihre Bestzeit gewesen wäre.

Lagat: Das will ich damit sagen. Du willst auf natürliche Weise herausfinden, was du leisten kannst. Was in den Köpfen der Betrüger vorgeht, weiß ich nicht, und ich werde es wohl nie wissen. Ich verstehe die Betrüger nicht. Wir haben nicht die selbe Wellenlänge. Weil sie keine Menschlichkeit haben, keinen Anstand. Nicht einmal Disziplin.

Interview: Thomas Hahn

http://www.sueddeutsche.de/

Kommentar: Lagat legt hier eine geballte Ladung Glaubwürdigkeit an den Tag. Wahrscheinlich hängt dies zusammen mit der hohen Emotionalität mit der er spricht. Dasselbe gilt auch für Bernhard Kohl, der auch ausführlich und emotional zum Thema redet.

Keine Kommentare:

The KanPas Focus 200

So here is the KanPas Focus 200. Actually the compass making orienteering easy. Maybe even too easy? - Sorry for that. fig.1. What a beauty ...