Samstag, 27. Juni 2009

Doper Kohl erzählt


27. Juni 2009
«Und man hat bald die erste Spritze in der Hand»
Bernhard Kohl und seine Version des Doping-Zwangs im Radsport

Bernhard Kohl gilt als einer der wenigen überführten Sportler, die offen über die Doping-Praxis sprechen. Die Botschaft des gesperrten und am 25. Mai offiziell zurückgetretenen österreichischen Radprofessionals ist klar: Ohne Doping geht es kaum. Benjamin Steffen hat Kohl in Wien getroffen.

Wir sprachen am zweiten Ruhetag der Tour de France 2008 miteinander. Sie waren umschwärmt, Sie erzählten, wie Sie im Vorfeld 4500 Euro investiert hätten, um alle Bergetappen der Tour abzufahren . . .
Bernhard Kohl:. . . das sind Grundvoraussetzungen!
Klar. Aber jeder fragte: «Herr Kohl, sind Sie sauber?» Und Sie beteuerten stets: «Ja, klar.»
Du führst ein Doppelleben – und wenn du das erste Mal Doping nimmst, beginnst du damit. Du weisst, dass viel mehr dopen, aber keiner gibt es zu. Das Problem für die Sportler ist, dass Doping in den letzten Jahren zu einem viel grösseren Thema geworden ist. Wie sonst soll der Sportler reagieren, als immer nur zu sagen, er sei sauber; als alles immer vehementer abzustreiten. Obwohl er weiss: «Ich bin nicht sauber.»
Das war für Sie kein Problem – so zu sprechen?
Man lernt das und hat zwei Personen in sich. Die eine weiss: «So läuft es.» Die andere steht in den Medien und redet völlig anders. Sie muss überzeugend wirken, um authentisch zu sein.
Gerolsteiner, Ihre Equipe 2007 und 2008, galt als Vorkämpferin der Sauberkeit, was an den Anti-Doping-Botschaften des Leiters Hans-Michael Holczer lag. Nach Ihrem dritten Schlussrang wurden Sie als Hoffnung gepriesen, weil Sie aus einem vermeintlich sauberen Team kamen.
Die Medien sagten, es gebe die Alten – und es gebe die Jungen, und die stünden für sauberen Sport. Das wurde uns in den Mund gelegt, von Medien und Teams. Ich als junger Athlet musste das in der Öffentlichkeit vertreten, weil ich das vorgelebt bekam. Hätte ich sagen sollen: «Ich dope aber eigentlich»? Das geht doch nicht. Dazu hat der Sportler zwei Personen.

200 Kontrollen, einmal positiv

Vor der Festina-Affäre 1998 ahnten Aussenstehende nichts vom flächendeckenden Doping, vor 2006 nichts von der Blutdoping-Kundenkartei von Eufemiano Fuentes. Was ahnt man heute nicht?
Man braucht nur die Durchschnittsgeschwindigkeiten von Rundfahrten anzuschauen. Diese Rennen waren immer mit Doping verbunden, das sind Tatsachen – und heuer soll es plötzlich sauber sein? Man muss nur logisch denken. Ein paar Fahrer, die sauber sind, wird es geben, mag schon sein – aber es sind wohl nicht sehr viele.
Mitunter werden die hohen Tempi mit anderen Taktiken als früher erklärt.
Wer selber drinsteckt, versucht Antworten zu finden. Es gibt nur eine logische Erklärung, aber keiner will es wahrhaben. Sportler nicht, Medien nicht, die Öffentlichkeit nicht.
Was ist logisch daran, dass Sie in rund 200 Dopingkontrollen nur einmal positiv getestet wurden?
Rund 100-mal hätte ich positiv sein müssen. Aber es gibt immer Sachen, die nicht nachweisbar sind, Wachstumshormone, Eigenblutdoping. Das wissen auch die Anti-Doping-Agenturen. Aber wenn sie in Gesprächen mit mir hören, wie es abläuft, sind sogar diese Leute geschockt.
Vom EPO-Mittel Cera meinten Sie aber auch, es sei nicht nachweisbar – bis Sie erwischt wurden.
Richtig. Im Oktober 2007 kam mir Cera zu Ohren. In Sportlerkreisen meinte man, es sei nicht nachweisbar. Und wer eine Chance haben wollte mitzuhalten, brauchte Cera.
Nach der ersten Cera-Überführung Riccardo Riccos an der Tour de France 2008 erzählte Ihr Team-Chef Holczer, ein paar Fahrer hätten gejubelt – denn nun werde eine Lawine ausgelöst. Spielten Sie die Show mit und jubelten ebenfalls?
Ich sass vorn im Bus; keiner konnte sehen, wie ich reagierte. Ich dachte, Ricco habe einen Fehler gemacht und Cera zeitlich zu nahe am Tour-Start genommen – und ich hätte Glück gehabt.
Wissen Sie von anderen Fahrern konkret, dass sie dopen? Sehen Sie es ihnen an? Oder ahnen Sie nur, dass es alle machen, weil es ohne nicht geht?
Man hat die guten Freunde im Feld, von denen man weiss, was sie machen – und diese haben wieder andere Freunde. Der Kreis von Fahrern, über die man Bescheid weiss, ist relativ gross. Und an der Tour sieht man am Berg beispielsweise am Tritt, wer was gemacht hat. Man kennt die Fahrer schon lange, man weiss, wie der Stil ist, wenn der Fahrer gut oder schlecht drauf ist; man weiss, wie er wann blickt. Man schaut sich gegenseitig an und weiss: «Okay, du machst wohl das Gleiche wie ich.» Dieses Gespür bekommt, wer selber weiss, wie man gedopt fährt und wie ungedopt – wie man am Tag nach einer Bluttransfusion fährt.
Von Ihnen ist bekannt, dass Sie schon 2001, als 19-Jähriger, mit Doping begannen. Wie kam das?
Ich ging zur Bundeswehr, zur Sportförderung. Da wohnte ich mit anderen Sportlern aus anderen Sportarten zusammen, die älter waren. Wenn man Freundschaften aufbaut, wird man eingeweiht, und so steht man schon sehr früh vor der Kreuzung, ob man Profi werden und seinen Traum weiterleben will – oder es gleich sein lassen will. Wenn man mit 19 erfährt, wie gedopt wird, kann man sich ja ausrechnen, wie es als Profi sein muss.
Das ist also kein Tabu in diesem Umfeld?
Nein. Und man will natürlich immer die besten Mittel haben und wissen, wie's läuft. Und so bekommt man rasch vieles mit, und man hat bald die erste Spritze in der Hand. Und man setzt sie.
Das war für Sie kein Problem?
Die erste Spritze war Horror. Nicht unbedingt wegen des Dopings, sondern wegen der Spritze – wenn man sich noch nie zuvor eine Spritze selber gesetzt hat. Ich legte sie mehrmals weg, nahm sie wieder, setzte erneut an, auf die Bauchfalte. Bis ich hineinstach, verging eine gute Stunde.
Was war es?
Wachstumshormone.
Sahen Sie Doping nie als gesundheitliche Gefahr?
Leider nicht. Ich wurde nie aufgeklärt über mögliche Folgen. Man bekommt vieles mit, denkt aber, Zeitungen schreiben irgendwas. Wenn mich ein Arzt fragte, ob ich Doping verwende, sagte ich «Nein». Wieso hätte er mich also aufklären sollen?
Wussten Ihre Trainer Bescheid?
Nein. Andere Athleten wussten es. Oder eben Hintermänner. Oder Stefan Matschiner.
Aber Matschiner, Ihr Manager und Doping-Experte, betreute Sie nicht von Anfang an.
Nein, Matschiner war für den Bereich verantwortlich, wo Potenzial vorhanden war. Als ich 2005 bei T-Mobile Profi wurde, wusste ich, «okay, nun muss ich auch das Doping professionalisieren, denn die Kontrollen werden besser, die Wettkämpfe wichtiger». Aus Sportlerkreisen wurde mir der Name von Matschiner genannt, ich rief ihn an, und zwei Tage später hatten wir das erste Treffen. Er fragte mich nach meinem Rennplan, wie viel Doping ich schon verwendet hatte, und er sagte: «Hey, da gibt's noch Potenzial.»

Steigerungspotenzial, um zu dopen?
Genau – sofern das Doping richtig angewendet wird. Nach zwei Stunden Gespräch hielt ich das erste Säckchen EPO, Wachstumshormone und Testosteron in den Händen. Und einen ersten Dopingplan. Von da an war es systematisch.
Aus Ihren Worten ist zu entnehmen, dass Sie bei T-Mobile nichts von organisiertem Doping merkten. Wussten Sie einfach: Ich bin neu, ich will mithalten, aber ich muss es von aussen holen?
Ja. Doch nachdem ich 2006, im zweiten Jahr, Dritter geworden war im Dauphiné Libéré, bekam ich einen Anruf von dem T-Mobile-Arzt Lothar Heinrich. Er sagte, wir müssten uns unbedingt in Freiburg treffen, um alles weitere zu besprechen. Mir war klar, worum es gehen würde, nur hatte ich schon bei Gerolsteiner unterschrieben, das Gespräch war hinfällig. Bei T-Mobile war ich Helfer, bei Gerolsteiner konnte ich als Captain fahren. Ich wollte meine Grenzen ausloten. Und das machte ich ja auch ganz erfolgreich. Nur der Abgang war ein bisschen holprig.
Vor dem Wechsel zu T-Mobile waren Sie bei Rabobank. Diese Equipe ist auch nicht unumstritten.
Ich war ja nur in der Nachwuchsmannschaft. Da spielte Doping keine Rolle, soweit ich es mitbekam. Das war meine sauberste Zeit. Ich bekam vorgelebt, dass es ohne Doping gehen muss.
Vorgelebt?
Für Betreuer waren nicht einmal Koffein und Tabletten ein Thema, was bei mir normal war.
2007 beendeten Sie die Tour de France im 31. Rang, 2008 als Dritter. Wie sehr sind die Fortschritte mit Doping zu erklären?
Es gibt so viele Bausteine – wenn nur ein Baustein falsch gesetzt ist, hast du keinen Erfolg an der Tour. Man muss gut trainieren, sich gut ernähren, genug schlafen. Und ein Punkt ist Doping.
Hatten Sie 2007 dasselbe Dopingpaket wie 2008?
Nein. 2007 war mein erstes Jahr als Captain, alles war neu, die Vorbereitung, die Dopingpräparation – und die Frage, wie ich auch während der Tour dopen kann. Die Erfahrungswerte setzte ich relativ schnell um. 2008 Dritter zu werden, war über den Erwartungen.
Betrieben Sie auch schon 2007 Eigenblutdoping während der Tour?
Nein, damals nur im Vorfeld.
Dachten Sie 2007, Sie benötigten es nicht?
Nein, die Möglichkeiten waren noch nicht vorhanden. Ich musste zuerst einmal schauen, wie das abläuft, damit ich für 2008 Bescheid wusste.
Täglich «schlimme Momente»

Warum löste so etwas wie der Fuentes-Skandal 2006 bei den Fahrern nicht ein Umdenken aus?
Welche Fahrer mussten büssen? Nicht viele, höchstens Ivan Basso und Jan Ullrich. Für kurze Zeit war es durchaus ein Schock, in Wien, bei Humanplasma, wurde alles vernichtet. Unser Gedanke war: je grösser das System, desto gefährlicher. Daher beschlossen Matschiner, wenige andere Athleten und ich, im kleinen Kreis zu arbeiten, und kauften eine eigene Blutzentrifuge.
Denken die Fahrer nicht um, weil sie ahnen, es gebe noch manchen Blutdoping-Arzt wie Fuentes?
Jeder Sportler wäre froh, wenn er keine Dopingmittel mehr verwenden müsste. Wenn alles nachweisbar wäre – das wäre super. Das sportliche Ergebnis wäre fast dasselbe.

Wäre das Profileben angenehmer ohne Doping?
Viel angenehmer. Wie viel Zeit ich für das Thema verwendete, wie oft ich mir überlegen musste, wie ich negativ sein kann in Tests – das sind schlimme Momente, aber sie gehören dazu.
Wie oft kommen solche Momente vor?
Täglich. Das Doping muss zu deinem Körper passen. Keiner kann dir die Zauberformel sagen, du musst für dich selber das perfekte Doping herausfinden. Das ist ein Prozess.
Wie gross war Ihre Angst, erwischt zu werden?
Wenn du nur Produkte hast, die nicht nachweisbar sind, hast du keine Angst. Und wenn du Produkte im Körper hast, die acht, neun Stunden lang im Körper nachweisbar sind, schliesst du die Türe ab, stellst das Handy aus, löscht das Licht. Und wenn einer läutet, machst du nicht mehr auf.
Erlebten Sie das?
Nein. Gut, es läutete, aber ich kann ja nicht wissen, ob es ein Kontrolleur oder der Nachbar ist – denn du weisst, du darfst acht Stunden lang keine Tür aufmachen, sonst bist du positiv. Besser also, andere Produkte zu nehmen. Wachstumshormone, Cortison. Cortison ist kein Problem, sofern du eine Ausnahmebewilligung hast. Du gibst an, du habest Knieschmerzen, obwohl du nichts hast. Und schon bekommst du die Bewilligung.
Machen das alle?
Sehr viele.
Sind Sie für sich immer noch Tour-Dritter 2008?
Für mich persönlich ja. Ich weiss, wie hart ich am Erfolg arbeitete und wie der Erfolg im Vergleich mit den anderen zustande kam. Und so hat es für mich persönlich immer noch die gleiche Wertigkeit. Das Trikot, die Trophäen.
Mussten Sie diese zurückgeben?
Die bekommen sie nie. Ich habe sie gut versteckt. Die Trophäen wären ja leicht nachzumachen, die holen sie kaum – und wenn, hab ich sie verloren. Oder auf einem Flohmarkt verkauft. (lacht)

www.nzz.ch

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